Isabelle, und die Nachkalkulation einer Prostituierten
Isabelle ist 29 und Hostess. Sie hat einen Begleitservice. Ihr Künstlername ist Mandy. Ab und zu helfen Freundinnen aus, wenn mehrere Damen angefordert werden. Sie kam in diese Clique vor 4 Jahren, als sie arbeitslos wurde. Sie schaltete damals eine Anzeige: Hostess, Begleitservice. Sie gab eine Handynummer an. Das Telefon stand kaum noch still. Sie hätte rund um die Uhr arbeiten können. Aber zu Hause wollte sie keine fremden Männer empfangen. Also verabredete sie sich in Lokalen und ging mit unzähligen Männern in Hotels. Eine Begleitung wollte keiner von denen. Alle wollten nur das eine … ihr war es egal. Wenn nur die Bezahlung stimmte. Früher wusste sie noch nicht, was sie nehmen konnte. Sie fing mit 200 € an … mittlerweile bestimmt sie den Preis nach Gefallen Ihres Gegenübers … aber unter 400 € geht gar nichts. Die ganze Nacht kostet mindestens 700 €. Alles nur Vorkasse. Seit 2002 die Prostitution in Deutschland nicht mehr verboten ist, sollen sich die Rechte der Prostituierten verbessert haben. Dass ich nicht lache, denkt sie sich. Jeder will mich, nicht jeder kann sich mich leisten und wirklich nett oder freundlich ist keiner. Es ist ein Geschäft. Sex gegen Geld. Alles nur mit Gummi. Keine Gefühle, kein Anstand und am nächsten Tag in der Stadt grüßen die Typen am Arm ihrer Frau sie natürlich nicht, wenn sie sich zufällig über den Weg laufen. Ein dezentes Weggucken, so als habe man sich noch nie gesehen … und war noch gestern zusammen im Bett. Naja, so ist das Geschäft, denkt sie sich. Sie hat keinen „Freund“, keinen Zuhälter.
Sie schaltet hin und wieder mal eine Anzeige, aber eher selten. Sie hat fast einen festen Kundenstamm. Fast alle hat sie auf ihrem Handy abgespeichert. Selten, dass mal ein Neuer dazu kommt. Viele haben feste Terminwünsche. Der eine ist Richter und kommt immer mittwochs. Ein anderer Zahnarzt, der kommt montags mittags und Freitag nachmittags. Eine Zeitlang besuchte sie auch ein Abgeordneter … der kommt jetzt aber nicht mehr. Dann hatte sie auch mal einen Schlosser. Der roch immer stark. Der musste immer erst Duschen gehen …, bevor er das bekam, was er eigentlich wollte.
Steuererklärungen hatte sie noch nie abgegeben. Weder als sie noch angestellte Sekretärin war, noch danach. Das war einfach ihre Privatsache, ob und wie sie sich verkaufte. Sie hatte mal daran gedacht, wie so eine Steuererklärung aussehen könnte. Sie wäre wohl Einnahme-Überschuss-Rechner, könnte dann ihre Dessous und Kondome, ihr Schampoo, ihr Parfum und ihre Kosmetik absetzen. Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Eventuell dann noch Diskussionen, was angemessen, was privat und beruflich war. Darüber hatte sie keine Lust zu diskutieren. Das Ganze war für Sie privat. Sie hatte kein Arbeitslosengeld vom Staat verlangt. Sie stand auf eigenen Füßen. Sie teilte auch nicht ihre Einnahmen aus der Prostitution. Das war aus ihrer Sicht keine steuerpflichtige Einnahme. Das war ihre Privatsache.
Mittlerweile empfing sie nur gelegentlich einen Kunden bei sich zu Hause. Aber nur selten und so, dass die Nachbarn nichts mitbekamen. Dachte sie. Sie lebte sehr zurückgezogen in einem Mehrfamilienhaus in der Altstadt. Zu ihren direkten Nachbarn hatte sie kaum Kontakt. Bei den wenigen unvermeidbaren Kontakten gab sie sich als Flugbegleiterin aus, wenn die Sprache mal auf ihren Beruf kam. Sie blieb immer oberflächlich und erzählte nichts von sich.
Eines Morgens klingelte es bei ihr. Es war gegen 8:30 Uhr. Eigentlich zu früh für die Post. Aber sie hatte vor ein paar Tagen im Internet ein paar Haarspangen und Kämme für ihre schönen dunkelblonden langen Haare bestellt. Vielleicht kam ja das Päckchen. Sie bediente die Gegensprechanlage, doch da war niemand … stattdessen klopfte es drei Mal an ihrer Wohnungstür. Da musste jemand unten die Tür offen gelassen haben … sie zog die Tür einen Spalt breit auf und sah einen Mann mittleren Alters. Er hatte kein Packet oder Päckchen bei sich. Er hatte auch keine gelbblaube Jacke von DHL oder andere Dienstkleidung eines anderen Zustellservices an … „Ja, bitte ..?“ fragte Isabelle durch den Türspalt und wollte die Tür schon etwas wieder zuschieben, spürte jedoch einen zarten Gegendruck: der Mann lehnte sich mit dem rechten Arm gegen die Tür, hatte seinen Fuß auch schon in die Tür gestellt und sagte freundlich, aber bestimmt: „Isabelle? Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Bertram, ich bin Steuerfahnder. Meine Kolleginnen und ich haben einen Durchsuchungsbeschluss für Ihre Wohnung.“ In der linken hielt er ein Stück gräuliches Papier, das oben ein Dienstwappen des Landes zeigte. Darüber hatte er einen kleinen oliv-grau-grünlichen Lichtbildausweis. So viel konnte sie erkennen. Sie überlegte, was sie machen sollte. Sie ärgerte sich über ihre Arglosigkeit, dass sie nicht die Kette an der Wohnungstür vorgelegt hatte. Eigentlich legte sie immer die Türkette vor … aber das war nun mal nicht zu ändern. Der Fahnder schaute sie an und schien ihre Gedanken zu erraten: “machen Sie keine Schwierigkeiten. Machen Sie auf. Oder wollen Sie hier eine Szene, bei der Ihre Nachbarn mitbekommen, dass die Steuerfahndung da ist? Wir würden, wenn Sie uns nicht reinlassen, die Polizei und den Schlüsseldienst holen … das kostet nur und das wollen Sie doch nicht … oder…?“ Sprach`s und drückte die Tür vorsichtig weiter auf. Isabelle war halb verdutzt, halb verärgert. Im Hintergrund tauchten drei Frauen auf. Jetzt eine Szene zu machen wollte sie wegen der Nachbarn nicht. Die nebenan war sicher da … die Kinder waren zwar wohl um diese Uhrzeit aus dem Haus Richtung Schule unterwegs, aber die Mutter war vermutlich zu hause. Die ging zwar fast jeden Tag einkaufen, aber meist erst später. Wie das mit den anderen Nachbarn war, wusste sie nicht. Viele waren bestimmt schon längst auf der Arbeit. Aber einige waren bestimmt auch noch zu hause. So genau konnte sie das nicht sagen. Meist schlief sie noch um diese Uhrzeit. „Wie spät ist es eigentlich?“, fragte sie den Fahnder. Der grinste und meinte: „acht Uhr dreißig.“ Sie gab die Tür frei und die Fahnder kamen herein: Der, der sich vorgestellt hatte und drei Kolleginnen, die sich alle vorstellten. Sie verstand die Namen kaum, die waren ihr auch nicht wirklich wichtig, sah sich die ihr entgegengereckten Ausweise der vier Fahnder nicht wirklich an, sie war wie in Trance. Was lief denn da für ein blöder Film ab … ? Sie setzte sich erst mal. Die eine Frau stellte sich als Fallführerin vor und erklärte ihr, was in dem Durchsuchungsbeschluss stand. Sie habe einen Escortservice und biete als Prostituierte sexuelle Leistungen gegen Entgelt an. Das habe sie zu versteuern. Sie habe aber noch nie Steuererklärungen abgegeben. Ihr werde ein pflichtwidriges Unterlassen vorgeworfen. Sie habe Einkommen- Umsatz und Gewerbesteuer ab zumindest 2009 in noch festzustellender Höhe hinterzogen und steuerlich würde das Finanzamt gegen sei auch die Zeiträume ab 2005 ermitteln. Hier müsse sie mitwirken und Erklärungen einreichen bzw. die Besteuerungsgrundlagen nennen. Dann kamen da auch noch so Sprüche, dass sie sich nicht zu den Vorwürfen äußern müsse, aber natürlich könne. Sie dürfe auch einen Anwalt anrufen, aber der bringe nichts und koste nur viel Geld. Am Besten wäre es für sie, wenn sie kooperieren würde und alles in Ruhe mit ihnen besprechen würde. Sie könne ruhig mit ihnen reden. Sie würde ihr auch helfen, so gut es geht. Das wäre das Beste für sie. Isabelle schaute sich die Fahnderin an. Das Beste für sie? Oder für die Fahnderin? Für wen? Die quasselte ihr nur das Ohr ab. Die wollte doch nur ein schnelles einfaches Mehrergebnis. Ein Geständnis hier und eine Unterschrift dort. Und dann würde sie verurteilt. Nein, das hatte sie früher schon in ihrem normalen Berufsleben gelernt: Erst mal schweigen und dann einen Spezialisten fragen. Nur den Beamten nichts sagen. Reden ist silber, Schweigen ist Gold. Es war wie mit der Polizei. Nur die Klappe halten. Dann ggf. zum Anwalt. Sie überlegte. Jetzt auf die Schnelle einen Anwalt organisieren? Wen? Lieber nicht. Nicht irgendeinen, der vielleicht viel Werbung machte und nichts konnte. Viele der Typen versprachen viel, hielten aber wenig. Sie hatte auch einen in ihrer Kundschaft. Der machte Verkehrsrecht. Das fand sie saukomisch: Mit ihm hatte sie Verkehr und er machte Verkehrsrecht. Aber der war wohl nicht der richtige. Außerdem wollte sie wenn dann einen, der sich mit Steuerrecht und Steuerstrafrecht auskannte, nicht nur irgendeinen.
Sie schüttelte den Kopf und sagte: „mir geht’s nicht gut. Mir ist schlecht …“ Brauchen Sie einen Arzt? Sollen wir einen Arzt holen … ?“ „Nein“, sagte Isabelle, mir geht’s nur nicht gut, ich brauche Ruhe … ich bin schwanger, log sie. Die Fallführerin schaute sie besorgt an… das zog doch immer mit der Schwangerschaft, dachte Isabelle und schmunzelte in sich hinein. Sie erinnerte sich noch, wie sie dem einen Freier, einem Architekten 10.000 € für eine Abtreibung in Holland abgeschwatzt hatte. Sie sei schwanger, hatte sie ihm nach dem fünften Mal erklärt. Sie bekäme ein Kind von ihm und wolle ihn heiraten. Da offenbarte er ihr, der Trottel, dass er angeblich glücklich verheiratet war und schon vier Kinder und einen Hund habe und seine Frau liebe und sich nicht scheiden lassen wolle. Es war eigentlich nur ein Spiel von ihr gewesen. Ein Test. Sie wollte ihn nur testen. Doch dann ärgerte sie sich über den Kerl so sehr und verstand nicht, was er bei ihr wolle, wenn er seine Frau liebte und spielte das Spiel weiter. Er bot ihr von sich aus 10.000 €, wenn sie seine Ehe und Familie in Ruhe ließe und in Holland abtreibe. Sie antwortete nicht, tat nur so als weine sie. Sie hatte schon kassiert und er ging ohne Gegenleistung und versprach, ihr am nächsten Tag 10.000 € für die Abtreibung zu bringen. Das machte er auch so und meldete sich dann nie wieder. So kassierte sie ohne Mühe mit ihrer damaligen „Schwangerschaft“ 10.000 € ganz ohne Arbeit. Natürlich war sie nicht Schwanger. Und nun kam ihr die erneute Schwangerschaft wieder zugute. Die Fahnder wurden alle viel freundlicher, der Mann fragte sie, ob er ihr ein Glas Wasser bringen solle, was sie bejahte und der brachte ihr tatsächlich eine Wasserflasche und ein Glas aus ihrer Küche.
Die Fahndung verlief eigentlich ganz gut. Nach eineinhalb Stunden gingen die vier wieder. Die Fallführerin ließ ihre Visitenkarte da … es war eine allgemeine Visitenkarte der Steuerfahndung des Finanzamts, ihren Namen trug sie per Hand dort ein … sie sei noch nicht lange in der Abteilung, erst, 6 Monate. Aha, dachte sich Isabelle … die Visitenkarten bekommt man dann dort erst nach einem Jahr … nahm es aber kommentarlos zur Kenntnis. Unterlagen und Ordner über Kunden hatten die Fahnder nicht gefunden. Ein paar Zettel mit Telefonnummern, ein Notizbuch, in ihrem Auto in der Tiefgarage auch einen Block mit einigen Nummern, einen Notizkalender, in dem nicht viel stand, und ihr Handy. Das war das größte Problem: Lauter Namen mit Handynummern, nur wenigen Festnetznummern. Sie hatte meist den vollständigen Namen gespeichert, in nur wenigen Fällen kannte sie nur den Vornamen.
Die Fallführerin fragte sie, ob sie denn nicht wissen wolle, wie sie ihr auf die Schliche gekommen seien. Sie fragte nur trocken: „Doch, wie?“ „Wir haben Zeitungsannoncen ausgewertet und haben in unserer Kommission „Strich“ Sie und andere entdeckt, die einen Escortservice, Massagen, Hotel- und Hausbesuche immer wieder anbieten, aber keine Steuererklärungen einreichen. Dies genügt als Anfangsverdacht. Auf dieser Basis haben wir den Durchsuchungsbeschluss vom zuständigen Ermittlungsrichter, dem Amtsrichter hier bekommen.“ Isabelle hatte sich so etwas schon gedacht. „Außerdem haben Sie eine Anzeige bekommen, eine anonyme.“
„Wenn es ihnen besser geht, machen Sie am besten mit mir einen Termin aus“, sagte die Fallführerin. „Dann können Sie mir alles sagen und wir schließen den Fall schnell und günstig für Sie ab. Glauben Sie mir, das ist das Beste. Wir einigen uns und sie zahlen rasch die Steuern. Strafrechtlich finden wir dann auch eine Lösung …“ sprach`s, ließ ihre komische Visitenkarten, eine Auflistung der beschlagnahmten Gegenstände da und ging mit den anderen drei. Kurz darauf klingelte es wieder. Nicht schon wieder die. Matt zog sie die Tür auf und meinte: „Was vergessen?“ Irritiert sah sie der gelbblau gedresste Mann von DHL an und grinste, „Sorry, Lady, nichts vergessen. Ich habe ein Päckchen für Sie!“ Sie quittierte, nahm das Päckchen und schloss die Tür. Warum war sie heute nur so arglos und ließ zum zweiten Mal die Kette weg? „Du musst Dich bessern, Isabelle. Du bist zu unvorsichtig“, sagte sie zu sich selbst. Dann legte sie sich erst mal wieder hin und schlief ein.
In den nächsten Tagen überlegte sie, wie sie mit dem neuen Problem umgehen sollte. Als ihr Richter wieder bei ihr war, erzählte sie ihm das Problem und fragte ihn nach Rat. Natürlich sagte sie nicht, dass sie das Problem habe … eine Bekannte schob sie vor … und sprach von deren Problem mit der Steuerfahndung. Er musterte sie, ob er es ihr glaubte? War auch egal. Jedenfalls sei er Zivilrichter, aber er empfehle ihr einen Anwalt. Er gab ihr auch einen Namen. Der mache auch Strafrecht sagte er. Der sei gut. Sie zweifelte daran, ob der Zivilrichter einen guten Steuerstrafverteidiger kannte… jedenfalls wenn der Anwalt bei ihm häufiger zu tun habe, könne er nicht ausschließlich im Steuerstrafrecht tätig sein. Er mache das auch, klang ihr im Ohr. Kaum war der Zivilrichter fertig, ging sie ins Internet. Den Anwalt fand sie … und der machte fast alles: Arbeitsrecht, Zivilrecht, Steuerrecht, Verkehrsrecht, Strafrecht, Baurecht, toller Kerl, eben Alleskönner. Daran glaubte sie nicht. Aber das brachte sie auf die Idee, einen Spezialisten im Internet zu suchen … warum sie da nicht gleich drauf gekommen war … ? Sie fand auch einen, der sah ganz nett aus und schien kompetent zu sein. Machte jedenfalls nichts anderes als Steuerrecht und Steuerstrafrecht.
Und wenn der zu teuer war, konnte sie vielleicht sich mit ihm anderweitig über die Bezahlung einigen … jetzt erst mal war Ruhe. Da brauchte sie nichts zu unternehmen. Mal sehen, was so vom Finanzamt kam. Dann dachte sie aber, abwarten ist vielleicht doch falsch und ließ sich gleich einen Termin bei dem Anwalt geben. Wenn der zum Abwarten rät, hat sie jedenfalls aufgrund seines Rates zugewartet. Auch eigene Verantwortung wollte sie keine Zeit verstreichen lassen. Vielleicht hatte der eine gute Idee und Abwarten war genau das Falsche … Den Termin erhielt sie in einer Woche. Sie hatte es nicht besonders eilbedürftig gemacht …
Zwei Tage später rief sie verabredungsgemäß bei der Fallführerin an und erbat ihr Handy zurück. Ihre Adressen und emails waren gesichert worden, d.h. kopiert worden. In der Zwischenzeit hatten dort auch einige der Herren auf ihrem Handy angerufen und die Fahnderin hatte versucht, mit denen ins Gespräch zu kommen. Nur einer hielt die Fahnderin für eine Kollegin von Isabelle und wollte sich mit der verabreden … die anderen erkannten gleich, dass Isabelle nicht am Telefon war und irgendwas nicht stimmt und legten auf oder behaupteten, sich verwählt zu haben, was angesichts der im Display wegen der Speicherung erscheinenden Namen wenig glaubwürdig war. Die Fahnderin versuchte Isabelle bei der Rückgabe des Handys in ein Gespräch zu verwickeln, aber Isabelle blieb einsilbig und schweigsam, nahm ihr Handy, unterschrieb die Rückgabequittung und ging.
Sie überlegte in der Folgezeit, wie sie mit ihrem Handy umgehen könne. Sie hatte Angst, dass sie nun abgehört würde oder eine Wanze in dem Handy war oder es sonst manipuliert war.
Sie entschied sich vorerst keine weiteren Annoncen aufzugeben und sich erst mal ein neues Handy mit einer neuen Nummer zu besorgen. Am besten mit einer Prepaidkarte. Sie überlegte sich, dass es vorteilhaft wäre, wenn die Daten von ihr nicht gespeichert werden würden und damit auch nicht von der Steuerfahndung bei ihrem Provider abgefragt werden könnten. Sie hatte gelesen, dass seit 2004 die Anbieter Prepaidkarten gemäß § 111 Abs. 1 TKG erst nach Angabe von Name, Anschrift und Geburtsdatum freischalten dürften. Sie hatte aber auch gelesen, dass die Anbieter aber nicht verpflichtet seien, die Angaben des Kunden anhand eines Ausweises zu kontrollieren. Da sie gelesen hatte, dass falsche Angaben gesetzlich nicht verboten sind, solange sie keinen fremden oder gefälschten Ausweis vorlege, war das die Lösung. Und dass sie nicht nachträglich Einzelverbindungsachweise erstellen lassen könne, war ihr durchaus Recht. Wenn sie das nicht erlangen konnte, konnte das die Steuerfahndung vermutlich auch nicht. Falls die Steuerfahndung noch mal käme, würde es besser sein, wenn möglichst wenig Daten auf ihrem Handy wären oder möglichst nichts über ihren Provider reproduzierbar wäre. Selbst wenn das Guthaben vertelefoniert ist, ist die Rufnummer trotzdem noch eine gewisse Zeit lang erreichbar — zwischen 2 und 15 Monaten je nach Anbieter. Und wenn das Guthaben in diesem Zeitraum nicht erneuert wird, wird die Karte dann irgendwann gesperrt und die Daten gelöscht. So könnte sie dann die Karte wechseln, so dass dann die alten Nummern dann gesperrt und die Altdaten sicher nirgends mehr gespeichert würden, also die Altdaten quasi auslaufen würden und nicht mehr recherchierbar wären. Ob bei den anderen Karten die Daten länger vorgehalten und länger reproduzierbar waren, wusste sie nicht wirklich. Aber vielleicht wäre da mehr oder jedenfalls künftig mehr recherchierbar. Jedenfalls wäre bei einer normalen Simkarte ihre richtige Adresse und die Menge der Verbindungen und die Verbindungskosten schon jetzt festgehalten. All das entfiele bei einem Künstlernamen bei einer Prepaidkarte. Das würde eine Nachvollziehbarkeit von Kontakten und Terminen und damit Befragungen ihrer Kundschaft und Nachkalkulationen sicher erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Die Telefonnummernwechsel würde sie ihren Kunden schon beibringen können.
In der Folgezeit nahm sie zu den meisten Kunden wieder Kontakt auf bzw. diese zu ihr. Die neue Nummer verbreitete sie schnell und die Treffen wurden dann knapp, fast codewortartig und verklausuliert künftig ausgemacht, so, als könne die Steufa stets mithören. Die Geschäfte gingen gut bei ihr. Sie wechselte etwa halbjährlich ihre Prepaidkarte. Mal erzählte sie, sie habe das Telefon verloren, dann hatte sie es verlegt oder es war ihr geklaut worden. Letztlich interessierte all dies ihre Kunden nicht, wenn sie nur erreichbar war und ihre Kunden rechtzeitig mit der neuen Nummer versorgte.
Den Termin beim Anwalt hatte sie wahrgenommen. Supernett. Sie mandatierte ihn und zahlte den angeforderten Kostenvorschuss bei ihm ein. Er bestellte sich als Verteidiger bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle und beantragte Akteneinsicht. Diese wurde ihm abgelehnt, weil die Gewährung der Akteneinsicht angeblich das Ermittlungsergebnis gefährden könne. Er diskutierte daraufhin mit ihr, ob er hiergegen vorgehen solle oder ab man zuwarten solle. Vermutlich wolle das Finanzamt die Freier als Zeugen vernehmen und diese Befragungsaktion vor ihr geheim halten … dabei sei doch klar, dass die Steuerfahndung entweder Auskunftsersuchen oder Zeugenladungen verschickte oder die Betreffenden persönlich aufsuchte, um sie zu befragen. Sie entschlossen sich zu warten …
Nach 4 Monaten flatterte ihr eine Vorladung ins Haus. Sie solle vernommen werden und rechtliches Gehör erhalten. Termin zur Vernehmung wurde auf 9 Uhr an am Dienstag, den 11.08. bestimmt. Finanzamt, Pforte. Sie würde dann dort abgeholt. Zu dieser Vernehmung wollte sie nicht gehen. Sie hatte mit ihrem Verteidiger abgesprochen, dass sie sich in solch einem Falle bei ihm sofort melden würde: Der sagte den Vernehmungstermin ab, beantragte erneut Akteneinsicht und teilte mit, dass sie für Gespräche nicht zur Verfügung stünde, vielmehr nach Akteneinsicht eine Äußerung ausschließlich über sein Büro erfolge.
Aus der etwa 4 Wochen später beim Steuerstrafrechtsspezialisten eingehenden Akte war ein Aktenvermerk als strafrechtlicher Zwischenbericht enthalten. Vernehmungen waren keine in der Akte. Weswegen die Akteneinsicht zunächst nicht gewährt wurde, war unklar. Es gab nur den Vermerk der Steuerfahndung in der Akte, dass einer Akteneinsicht bedenken entgegenstünden, weil die Akteneinsicht die weiteren Ermittlungen gefährden könne. Außer dem strafrechtlichen Bericht war aber nichts in der Akte gemacht oder jedenfalls nichts zu erkennen. Weiter war dort eine Vollschätzung der Einnahmen von Isabelle. Die Schätzung ging von 20 Arbeitstagen pro Monat aus und einem Durchschnittsverdienst von 200 € brutto pro Arbeitstag. Kosten wurden keine geschätzt. Es seien keine feststellbar. An 4 Samstagen wurde eine Doppelbelegung unterstellt, so dass pro Monat 24 mal 200 = 9.600 € Einnahmen geschätzt wurden. Das ergab pro Jahr 12 * 9.600 € = 115.200 € Einnahmen, darin 19 % Umsatzsteuer in Höhe von 18.393,28 €. Daraus errechnete sich ein Überschuss von 96.806,72 €, mithin eine Einkommensteuerschuld von ca. 38.250 € p.a., Umsatzsteuer in Höhe von 18.393,28 € p.a. und Gewerbesteuer von ca. 15.600 € p.a. (bei einem Hebesatz von 460 %), zuzüglich Zinsen in Höhe von 6 % p.a. auf die Steuern. Das FA teilte bei den Schätzungen mit, dass es keine urlaubs- oder krankheitsbedingten Ausfallzeiten habe ermitteln können, zugunsten der Steuerpflichtigen aber keine „Lohn“-erhöhungen unterstellte. Die Werbeanzeigen in der Presse seien zwar bekannt und es sei auch bekannt, dass diese Geld kosten würden, da keine ordnungsgemäßen Rechnungen vorgelegt wurden, erkannte das Finanzamt aber insoweit weder Betriebsausgaben noch Vorsteuern an.
Als ihr Anwalt das aus der Akte mit ihr besprach, lachte sie nur und meinte „für was halten die mich? Kann, will oder muss ich dauernd? …Die haben ja keine Ahnung.“ So ein Unsinn. „Ich hatte keine Freier.“
Auftragsgemäß bestritt der Anwalt dann in einem der Verteidigungsschriftsätze diese Schätzung. Das Finanzamt konterte, dass man dann im Rahmen von Auskunftsersuchen die Freier befragen würde, deren Daten bzw. Namen und Telefonnummern man schließlich gesichert habe und die dann wahrheitsgemäß aussagen müssten. So kam es dann auch. Doch bei den Auskünften gab es große Überraschungen, wie sich bei der nächsten Akteneinsicht etwa ein halbes Jahr später ergab: Einige kannten Isabelle nicht. Andere hatten seit Jahren keinen Kontakt zu ihr mehr oder noch nie Kontakt zu ihr gehabt, erst Recht keinen sexuellen und natürlich schon gar nicht gegen Bezahlung. Der Schlosser sagte z.B. aus, dass er mit Isabelle früher befreundet war, mit ihr auch geschlafen habe, aber natürlich nicht gegen Entgelt. Das würde er nie machen. Die Beziehung sei lange vorbei. Sie habe wohl von damals noch seine Handynummer gespeichert. Der Abgeordnete kannte sie nicht und hatte nie Kontakt mit ihr gehabt, erst Recht keinen Sexuellen. Auch der Anwalt und der Richter, der Architekt, der Zahnarzt und all die anderen kannten sie allenfalls mal flüchtig, im Ergebnis aber eher nicht: es war so wie wenn sie sich auf der Straße zusammen beim Einkauf mit ihren Ehrfrauen trafen: Weggucken, man kennt sich nicht. Noch nie gesehen. Schon klar. Einer sagte aus, er habe mal bei ihr angerufen, weil er für eine Party eine weibliche Begleitung brauchte, da er aber dann krankgeworden sei, ging er nicht auf die Party, so dass er den Escortservice dann doch nicht brauchte. Einige meldeten sich nicht – auch nicht auf Nachfrage. Diese wurden dann von der BuStra vorgeladen, konnten sich aber an Isabelle nicht erinnern und hatten mit ihr natürlich auch keinen Kontakt, selbstredend natürlich auch keinen sexuellen.
Wie Isabelle an ihre Nummern kam, konnte kaum einer erklären: Von herumliegenden Visitenkarten, teils aus dem Internet oder einfach mal so gegeben oder ggf. bei der Sekretärin für Notfälle erfragt usw. Auch die, die bei der Fallführerin in der Zeit anriefen, als das Handy beschlagnahmt war, hatten gute Ausreden. Da es keine verständlichen Eintragungen in Isabells Kalender gab und verschiedene Cafes oder Straßennamen keine plausiblen Nachweis für sexuelle Kontakte waren, wurde die Aufrechterhaltung der Schätzung für das Finanzamt immer schwieriger. Auch die Befragung der Nachbarn verlief erfolglos: Über ständig wechselnde Männerbesuche war nichts bekannt. Sie sei bei der Lufthansa oder einer anderen Airline Stewardess, meist nicht zu Hause, habe unregelmäßige Arbeitszeiten, lebe sehr zurückgezogen, hin und wieder sei mal ihr Freund gekommen, ein netter gut aussehender Mann, die einen beschrieben ihn ungefähr Mitte 30, die anderen Ende 30 oder Anfang 40. Ob es ein und derselbe war, blieb unklar, da keiner ein Foto hatte und die Beschreibungen diffus und ungenau waren. Die direkte Nachbarin wurde von der Steuerfahndung gefragt, ob sie sich vorstellen könne, dass Isabelle in einem Club arbeite oder sexuelle Dienste anbiete. Die Nachbarin war entsetzt, verneinte das strikt und beschrieb sie als ordentlich, sauber und sie lebe zurückgezogen … wer so etwas von ihr behaupte, wollte sie dann wissen und meinte, das sei eine ekelhafte Verleumdung und meinte weiter, dass hier im Haus nur seröse Leute wohnten. Sie habe sie nur ganz selten in Begleitung eines Mannes gesehen und einen Freund dürfe sie ja schließlich haben. Aber das sei so selten, das sei wohl nichts ernstes …. Nach mehr als einem Jahr Ermittlungen konnte die Steufa aus den Telefonnummern, den Zeugenbefragungen, den Auskunftsersuchen, den Befragungen der Nachbarn und der vermeintlichen Freier, dem Kalender und den sonstigen Unterlagen nichts beweisen. Es blieben die Escortservice-Angebote. Der Anwalt schrieb dazu nur, dass Isabelle dies zwar angeboten und als Geschäftsidee nutzen wollte, aber die Männer, die sich meldeten, ihr entweder nicht zusagten oder anderes wollten und zudringlich wurden, was sie ablehnte. Zu steuerpflichtigen Umsätzen, so hatte sie berichtet, sei es jedenfalls nicht gekommen … Blieb die Frage, wovon sie wie gelebt hatte, wie sie die Miete und die anderen Sachen bezahlt hatte … Ihre Antwort war einfach und klar: „Von Erspartem von früher und Unterstützungen ihrer Eltern und ihrer Geschwister“, sagte Isabelle.
Das Finanzamt erlies Schätzungsbescheide auf der Grundlage der Schätzungen der Steuerfahndung. Hiergegen legte der Anwalt Einspruch ein und begründete diesen damit, dass die erfolglosen Escort-Zeitungsinserate kein ausreichende Anhalt für Zuschätzungen seien. Die Zeugenaussagen würden die Erfolglosigkeit ihres Unternehmens belegen: Die vermeintliche Kundenkartei in dem Handy gab letztlich überreinstimmend an, dass es aus unterschiedlichsten Gründen zu keinen Umsätzen gekommen war.
Nachdem es im Besteuerungsverfahren nicht weiterging, versuchte es das Finanzamt im Strafverfahren und beantragte einen Strafbefehl über 720 Tagessätze a`300 €, den auch das Amtsgericht erließ. Der Anwalt legte auch hier binnen der Zweiwochenfrist fristgemäß Einspruch ein. In der Hauptverhandlung wurden einige Zeugen vernommen, die das aussagten, was bereits schriftlich oder im Rahmen von Vernehmungen bereits aktenkundig war. Hierauf ließ sich keine Verurteilung stützen. Nach zwei Verhandlungstagen schlug der Richter eine Einstellung nach § 153 a StPO gegen Zahlung einer Auflage von 10.000 € an 2 oder 3 gemeinnützige Vereinigungen vor. Das lehnte Isabells Anwalt ab. Nach einem weiteren Verhandlungstag schloss das Gericht die Beweisaufnahme und Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung plädierten: Die Staatsanwaltschaft sah die Steuerhinterziehung bei der Sachlage wohl als gegeben, die Verteidigung fasste das Ergebnis der Beweisaufnahme dahingehend zusammen, dass bloß die Schaltung von Annoncen zwar die Absicht der Umsatz- und Einnahmeerzielungsabsicht belege – aber die Zeugen und sonstigen Beweismittel keine Einnahmen zur sicheren Überzeugung des Gerichts zu Tage gefördert hätten. Auch die Aussage des Zivilrichters zeige geradezu typisierend, dass man nicht von den abgespeicherten Telefonnummern auf sexuelle Kontakte und erst recht nicht gegen Entgelt ausgehen dürfe. Das Verfahren vor dem Amtsgericht endete mit einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen, nämlich aus Mangel an Beweisen.
Dieser Freispruch war ein schwerer Schlag für die Steufa, die natürlich eine Verurteilung sich erhofft hatte und mit der Verurteilung auch vor dem FG ein weiteres Argument für die Einnahmen bzw. Umsätze haben wollte. Die Staatsanwaltschaft ging allerdings nicht in Berufung. Der Freispruch wurde rechtskräftig.
Nach vier Jahren hob das Finanzgericht die mehrfach geänderten und stückchenweise reduzierten Steuerbescheide auf, da eine Tätigkeit als Prostituierte bzw. die Einnahmeerzielung als Gelegenheitsprostituierte Isabelle nicht nachgewiesen werden konnte. Aus der Schaltung von insgesamt 7 Anzeigen auch über einen Zeitraum von 4 Jahren lasse sich nicht mit der nötigen Sicherheit auf Einnahmen schließen. Das Argument des Verteidigers, dass aus 7 Vermietungsanzeigen auch nicht auf Mieteinnahmen oder aus 7 Verkaufsanzeigen desselben Autos auch nicht auf 7 Verkäufe desselben Autos geschlossen werden könne, überzeugte letztlich das Gericht. Die Nachweispflicht für steuerpflichtige Einnahmen lag schließlich beim Finanzamt, betonten Verteidiger und Finanzgericht. Ihr Anwalt hatte viele Beweisanträge gestellt, engagiert vorgetragen, Literatur analysiert, Präzedenzfälle recherchiert und super argumentiert. Wie … ? Das erfahren Sie – wenn Sie ein ähnliches Problem haben – unter: 0611-890910 …..
Nachsatz: Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht hatte Isabelle einen der vermeintlichen Freier geheiratet und es war ein Kind aus dieser Ehe hervorgegangen. Sie war zu ihrem Ehemann in ein kleines Reihenhaus in einem Vorort der Stadt gezogen … die letzte Telefonnummer der Prepaidkarte hatte sie nicht mehr weitergegeben ….
vorläufiger Schlusssatz in dieser Geschichte: Auch diese Geschichte — wer hätte das gedacht ?– ist natürlich frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind natürlich selbstredend nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.
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